Gabriele Seitz. Künstlerporträts

M. s. g. D. u. H!
Jede Zeit hat ihre Bildvorstellungen: Pan Walther gestaltete seine Bildnisse seit den ausgehenden 1940er Jahren im expressiven Duktus von harten schwarzen Flächen im Kontrast zum Weiß des Lichtes; Evelyn Richter bevorzugte seit den ausgehenden 1950er Jahren eine sozialdeterminierte Sicht auf die arbeitenden Menschen, nicht zuletzt in verschiedenartigsten Produktionsprozessen; Christian Borchert wiederum dokumentierte unpathetisch die Menschen in ihrem privaten oder gesellschaftlichen Umfeld, Günter und Christine Starke verfolgten in sozial-dokumentarischen Serien die realen Lebensprozesse und Lebensbedingungen in der Dresdner Neustadt seit den 1980er Jahren. Bei Gabriele Seitz dominiert bei häufig charakterisierendem Seitenlicht stärker das Private. Für alle Photographie gilt aber, dass eigentlich schon in dem Moment, in dem das Foto in die Öffentlichkeit tritt, also die Intimität verlässt, dass es sich beim Betrachter neu objektiviert und einen historischen Moment belegt.

Diese umfangreiche Ausstellung befasst sich nun mit einem Aspekt, nämlich dem Porträt. Es ist das Hauptthema der Photographin, die eigentlich auf dem Gebiet der Photographie eine Autodidaktin ist. Das bedeutet auch, dass sie frei von Lehrern - an welchen Schulen auch immer – ihre Handschrift entwickelte und formte. Ich denke, das ist in diesem Fall ein Vorteil. Die Bilder zeugen von einer - im positiven Sinn - gesehenen Unbekümmertheit und Offenheit im Umgang mit den Dargestellten, gepaart von gegenseitiger Achtung und einem klaren Gestaltungswillen.

Weit gefächerte Ausbildung mit unterschiedlichsten Tätigkeiten schärften den Blick auf die Menschen. (Biographische Daten finden Sie hier in der Ausstellung). Ein natürliches, unvoreingenommenes Wesen kennzeichnet ihren Umgang mit den Menschen und öffnete so seit dem Beginn ihrer photographischen Tätigkeit den Zugang zu den Menschen. Auslösendes Moment war die Arbeit im Vorstand des Radebeuler Kunstvereins, den sie mitbegründete und für dessen Ausstellungen sie seitdem die Künstlerporträts fertigt.

Aber noch einmal zurück zum Ausgangspunkt. Ich halte es mit Max Lehrs, dem früheren Direktor des Dresdner Kupferstich-Kabinetts, der im ausgehenden 19. Jahrhundert mit dem Sammeln von Photographien begonnen hatte. Als einer der Ersten in einem Kunstmuseum im deutschen Sprachraum stellte er Photographien gleichberechtigt neben Graphik und Zeichnungen aus fünf Jahrhunderten. Es war die Begeisterung für das damals neue Medium. Basis bildete ein an der graphischen Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts geschärfter Blick für die künstlerische Qualität. Für Max Lehrs stand die bildnerische Qualität der Porträts, aber auch der Landschaften, im Vordergrund. Lehrs sah sehr wohl den Gegensatz zur „technischen“, d.h. physikalisch-chemischen Erzeugung von Bildern. Aber es blieb für ihn zuerst ein Bild! (Das gilt bis heute, auch wenn das Bild inzwischen elektronisch festgehalten wird.) Es dauerte dann noch sehr lange, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass auch die Photographie ihre Bilder nach künstlerischen Aspekten schuf. Am Grundsatz „Zeichnen mit Licht“, so die Übersetzung des Wortes „Photographie“, hat sich nichts geändert! Was übrigens seit Einführung der Daguerreotypie gilt, also seit 1839!

Lehrs hatte mit einem verblüffend einfachen und unschlagbaren Argument heraus erkannt, dass Photographien schöpferische Leistungen in der Form besonderer Bilder sind. Ganz gleich mit welcher Methode erzeugt. Auch der Photograph gestaltet! Lehrs´ Definition ist konkret und zugleich offen für alle möglichen neuen Entwicklungen.

In besonderer Weise vereint die Photographie das Dokumentarische und das Gestalterische. Man muss die „Selfies“ und andere moderne Bildaufzeichnungen mit ihrer neuen Bildwelt mit einbeziehen. Natürlich entwickeln Selfies und ebenso die anderen digitalen, d.h. elektronischen Bilder ihre eigene Ästhetik. Sie sind Ausdruck unserer Zeit, einer Zeit, die viel mehr Wert auf das Event legt! D.h. auf den vorbeihuschenden Augenblick, das besondere Ereignis und die Spontaneität. Letztlich wird aber auch hier die bildnerische Qualität entscheiden. –

Pardon für diese Abschweifung!

Seit 1997 konzentriert sich Gabriele Seitz auf das Bildnis und zwar im klassischen Analog-Verfahren; also Aufnahme auf Negativ, Entwickeln des Films, Auswahl der Bilder und zuletzt die notwendige Vergrößerung. Eine bewusste Entscheidung! Das ist unter heutigen Aspekten eine mühevolle und beinahe anachronistische Tätigkeit. Aber es lohnt sich im Dienst an den Porträts. Die Qualität ist das Entscheidende! Die Bilder von Gabriele Seitz wirken in den besten Aufnahmen zeitlos. Sie sind aufregend durchgezeichnet - achten Sie auf die subtile Lichtführung! Beachten Sie, wie die Feinheiten des Gesichts vom Licht moduliert werden. Das Bild, besser das Abbild, ist von Zufällen weitgehend befreit. Dazu dient auch das einzige Pflichtrequisit, das die Photographin stets mit sich führt: ein schwarzes Tuch. Es neutralisiert den Bildgrund und konzentriert den Blick auf den Abgebildeten. Damit entsteht Verdichtung. Daneben entstehen meist zusätzlich auch noch Aufnahmen im Raum des Künstlers, also im Atelier. Beeindruckend hier das Bild mit dem in sich versunkenen Radierer Hanif Lehmann. Eine gelungene Arbeitsstudie. Das ist insofern von Bedeutung, als das Interieur dem Betrachter eine weitere Bedeutungsebene liefert. Und vergessen wir nicht: Jede Photographie ist ein Schnitt durch den Strom der Zeit, d.h. ein historischer Moment wird festgehalten. Nachfolgende Generationen werden es danken – auch wenn man manchmal den Eindruck gewinnen möchte, dass die Menschen die Historie abschaffen wollen. Dieses Archiv der nun inzwischen über 200 Künstlerbildnisse ist ein besonderes Archiv. Und es wurde jüngst erweitert durch eine weitere, beeindruckende Serie internationaler Wissenschaftler an der TU Dresden, die 2016 im Katalog zur Ausstellung „WIR – Internationale Wissenschaft in Dresden“ publiziert wurde.

Inzwischen hat sich Gabriele Seitz einem neuen Motivbereich zugewandt: der Natur, genauer der Landschaft im Moor, wohin sie es bald nach der Eröffnung ziehen wird. Aber das ist nun ein anderes Thema. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.

Es können hier nur einzelne, subjektiv ausgewählte Bilder besprochen werden, gewissermaßen als „Handreichung“ oder Vorschlag, der nicht angenommen werden muss. Und - die persönliche Mühe der Auseinandersetzung kann ich niemandem abnehmen!

  • Stets die Künstler im eigenen Interieur fotografiert.
  • Zwanglosigkeit erkennbar.
  • Angenehm auch die latent vorhandene Freude des Fotografiert Werdens, auch das Bewusstwerden dieses Moments.

In Gabriele Seitz‘ Photographien dominiert das Handwerkliche auf sehr hohem Niveau, es spricht aus fast allen Vergrößerungen eine Vertrautheit und zugleich Privatheit, vor allem in den Bildnissen vor „neutralem“ schwarzem Hintergrund. Dieser einfache methodische Trick zwingt den Betrachter zum genauen Hinschauen und eröffnet damit einen inneren Dialog mit dem Gesicht des/der Dargestellten, in dem die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat. Darüber hinaus bietet die Ausstellung ein breites Spektrum von Künstlern aus dem Dresdner Raum.

Das Bildnis von Werner Wittig besticht mit den vom Licht ziselierten Gesichtszügen. Es kommt in seiner graphischen Sprache den empfindsamen Holzrissen des Künstlers nahe. Die Porträtaufnahme des Malers und Graphikers Claus Weidensdorfer gilt einem der wichtigsten Künstler in Dresden seit den 1970er Jahren und ebenso die statuarische Photographie des sitzenden Max Uhlig, der jetzt gerade seinen Zyklus der farbigen Glasfenster für eine Magdeburger Kirche vollendet, dessen Gemälde, Aquarelle oder Zeichnungen ebenso wie die graphischen Blätter von einer ungeheuren Dynamik gekennzeichnet sind. Oder betrachten Sie die Lichtführung in den hageren Gestalten der jüngst verstorbenen Veronika von Appen oder der Bildhauerin Feindt-Eißner. Karl Heinz Adler zählt mit seinen 90 Jahren zu den Senioren der Dresdner Künstlerschaft. Adler wirkt mit seinem silbernen Haar vor dem schwarzen Grund patriarchisch. Oder nehmen Sie das ergreifende Porträt der gealterten Evelyn Richter, die sozialdokumentarische Photographin, vom hohen Alter gekennzeichnet, wo Zerbrechlichkeit und kritischer Blick eine besondere Spannung bilden. Das Archiv umfasst weitere bildende Künstler und Photographenkollegen wie Hans Ludwig Böhme, Ulrich Lindner oder Franz Zadnicek. Priscilla Ann Siebert, 1917 geboren (!), trotz ihres hohen Alters noch immer geistig frisch und kritisch den Alltag verfolgend. Wolfgang Petrowsky wird Ihnen hier in Bitterfeld schon seit langem bekannt sein durch seine Arbeit als Zirkelleiter für bildende Kunst. Ebenfalls beeindruckend der Schauspieler Rolf Hoppe als Privatmensch.

Damit sind wir bei einer der wichtigsten Bedeutungen der Photographie: das Dokumentieren. Jede Photographie ist ein historisches Dokument. Ein Schnitt im Fluss der Zeit. Und es bewahrt mehr als nur Erinnerung. Bei den Künstlern ist damit stets auch die Erinnerung an deren künstlerisches Werk verbunden. Entstanden viele der Photographien von Gabriele Seitz aus Anlass einer Ausstellung, so bleibt nach dem Ende der Ausstellung das Bildnis des Künstlers, der Künstlerin erhalten. Aus dem Auftrag entwickelte sich in den letzten Jahren zunehmend eine Passion zur Sammlung dieser Bildnisse. Aus ihnen spricht aber auch eine gegenseitige Achtung von Photographin und Dargestellten. Und andererseits auch eine gewisse Zeitlosigkeit. Die Photographien sind nicht modisch! Ich glaube, dass dies ein ganz wesentlicher Unterschied zu manch heutiger Photographie ist.

Es ist und bleibt ein ästhetisches Vergnügen, sich mit den Porträts auseinanderzusetzen. Diese Mühe des Schauens kann ich Ihnen nicht abnehmen. Aber ich verspreche, es lohnt sich.

Hans-Ulrich Lehmann
Es gilt das gesprochene Wort!

Ausstellungseröffnung am 21.9.2017, im Institut für Kultur und Weiterbildung. Einrichtung des Landkreises Anhalt-Bitterfeld. Galerie am Ratswall, Ratswall 22, Bitterfeld-Wolfen