Zauber des Vergänglichen

Einst beschrieb Hermann Hesse in einer Erzählung seine Erfahrungen mit der Natur: „Die Schönheit bezieht einen wesentlichen Teil ihrer Kraft aus der Vergänglichkeit“. Selbst noch im hohen Alter schmückt sich die Natur mit einer nur ihr eigenen Schönheit, wie wir es auch in der Kunst von Stillleben kennen. Auch das Absterbende leuchtet in einem besonderen Glanz wie eine Feier, die den Kosmos erfüllt. Nichts geht verloren, auch wenn das in die Welt Geworfene scheinbar wieder im Nichts versinkt. Unter dem Titel „Zauber des Vergänglichen“ steht die Ausstellung um Baum und Mensch in der Carl-Lohse-Galerie Bischofswerda mit Schwarz-Weiß-Porträtfotografie von Gabriele Seitz aus Radebeul und Malerei und Grafik von Rita Geißler aus Dresden. In ihren feinfühligen, von Empathie getragenen Aufnahmen von Bäumen und alten Menschen entwickelt Gabriele Seitz eine eigenwillige Ästhetik vom Werden und Vergehen. Rita Geißlers Malerei und Grafik verströmt die unermessliche Weite von Flusslandschaften, feiert die flussnahe Natur mit Baum und fragilem Gebüsch in lichtvoll-schattigen Motiven, die bis ins Abstrakte getrieben werden. Ihre Mischtechniken vertiefen die Stimmungen von Wald und See, nicht ohne den Zauber von Licht und Farbe in feiner Zurückhaltung.

Baum und Mensch sind, seit es die Menschheit gibt, schöpferisch miteinander verbunden. Damals wie heute war Holz nicht nur als Bau- und Brennmaterial wichtig. In Mythen und Märchen hat sich der Mensch ein geistig-spirituelles Bild vom Baum gemacht, seine Nähe in allem Wachsen und Vergehen im Kreislauf der Natur fantasiereich umgedichtet und seine elementare Bedeutung für die mythische Erklärung der Welt genutzt. Der große türkische Dichter Nazim Hikmet schrieb: „Leben wie ein Baum/einzeln und frei/und brüderlich/wie ein Wald/das ist unsere Sehnsucht“. Der Mensch braucht nicht nur Holz für seine Dinge zum Leben und Überleben, sondern auch Schatten und Grün und die reine Luft der Bäume, wo er ausruht und seine Kräfte erneuert. Magische Anziehung üben besonders alte Bäume aus, ihre dicken und festen Rinden, die von Frost, Hitze und Feuchtigkeit zermürbt, aufgebrochen und zerklüftet, die Zeit in sich tragen und vom Altern in Würde berichten. Gabriele Seitz fand ihre Baummotive in der ganzen Welt, von Deutschland über Portugal, den Kanaren bis Sizilien und Griechenland. Korkeichen und Olivenbäume verzaubern durch ihre gewaltige Kraft und Energie. Eine Reihe von Aufnahmen, besonders die neueren, entstanden im Garten von Boboli in Florenz (eine mächtige Zeder), im Darßer Urwald mit einer malerischen „Baumbrücke“ und eine Schafidylle auf Groß Zicker. Auf der Suche nach Baummotiven machte sie Aufnahmen vom Schattenspiel im Fürst-Pückler-Park von Bad Muskau, vom „Robiniengeist“ im Schlosshof Strehla und „Eulenbaum“ in Osieki in Polen. Die déja vues verschiedener Baumformen, Fratzen und „Missbildungen“ belegen den genauen Blick und die Fantasie der Fotokünstlerin. Bemerkenswert sind ihre Aufnahmen von der „Wolframslinde“ bei Bad Kötzting und der Sankt-Wolfgangs-Eiche bei Regensburg (beide sind über 1000 Jahre alt).

Die Dresdner Malerin/Grafikerin Rita Geißler ist vor Ort mit einem Auszug aus ihrem umfangreichen Werk vertreten, das durchaus Bezüge zum Thema der Ausstellung und der Fotografie von Gabriele Seitz aufzuweisen hat. Ihre Themen berühren den jahreszeitlichen Zyklus in der Natur, besonders Frühling, Herbst und Winter. Immer sind es auch Bäume (hier eine verwachsene Birke), die sie vor der Natur skizziert und im Atelier als Radierung oder Lithografie vollendet. Ihre Radierung „Rosenzweig“ zeigt ein karges Geäst aus herbstlich dürren Zweigen, lyrisch miteinander verbunden und bestechend schön durch die Äderung der Gravur und die grauwertigen Ätzspuren. Ihre Nahsichten von Bäumen, einzeln oder als Gruppe, tragen oft eine leichte Abstraktion in sich und sind auf das Wesentliche reduziert. Mit ihren Wald- und Seestücken schafft sie eine intime Nähe zur Natur in stillen, fein ausgearbeiteten, unspektakulären Ansichten im Pastell, der Gouache, der Mischtechnik und im Aquarell. Sorgsam arbeitet sie mit Weiß und erdig-tonigen Farben und fängt in sparsamen Pinsel-und Kreidestrichen das Atmosphärische der kleinen Landschaftsausschnitte ein. Die oft von der russischen Malerei mit Isaak Levitan (dem Waldmaler und Lichtzauberer) inspirierten Blätter sind poetische Nahsichten auf das heimatliche Land, die Heide und ihr Umfeld. Weite Flussebenen sind der Künstlerin, die ihre früheste Kindheit in Russland verbrachte, nicht fremd. Die Ausstellung zeigt die weite und großartige Flusslandschaft der Elbe, rückt aber vor allem die grafische Wirkung des Schwarz-Weiß als Ätz-Aquatinta- und Kaltnadelradierung in den Mittelpunkt. Nah- und Fernsichten wechseln einander ab. Mancher Akt und manche Landschaft wirken dabei in ihrer Art sehr nah miteinander verwandt, illusorisch im Spiel der Spiegelungen von Negativ- und Positivform („Schatten“, Akt, 2013). In letzter Zeit experimentiert die Künstlerin viel: Ihre Landschaften sind zurückhaltend geblieben, aber dichter, klangvoller geworden. Das Bild atmet und ist von einer reizvollen Transparenz und Luftigkeit, wie ein herbstliches Waldstück mit gelben Fetzen Lichts und wenigen, herabfallenden Blättern. Dabei sind die Landschaften zum Teil anonym, zum Teil topografisch näher bestimmt, wie die Elbstücke in Loschwitz von Blasewitz aus gesehen. Reales und die Vorstellung verschmelzen oft. Die Erfüllung findet Rita Geißler an der Elbe. Die hellen Spiegelungen, der breite Fluss, das gleißende Licht im Sommer, silbrig und klar, durchfluten viele Arbeiten aus jüngster Zeit.

Die beiden Künstlerinnen ergänzen sich in dieser Ausstellung auf wundersam-magische Weise: Hier die auf das Schwarz-Weiß reduzierte Psychologie des Sich-immer wieder diskreten Vertraut Machens mit Mensch, Baum und Natur in den Fotografien von Gabriele Seitz, ausgebildete Diplom-Pädagogin und seit dem Jahr 2001 Seiteneinsteigerin in Sachen Fotografie, und dort die feinfühlig vibrierende Malerei und Grafik von Rita Geißler mit ihren stillen, nachdenklichen Motiven. Sie hat bei Professor Gerhard Kettner 1989 ihr Diplom an der HfBK Dresden mit einer auf der Leipziger Messe prämierten Buchillustration zu Anna Achmatowas Gedichten abgeschlossen. Beide sind auf ihre Art Menschen, die ihre Mitte gefunden haben, die positiv, mit Liebe und Begeisterung an das Leben und ihre Kunst herangehen, die mit Leidenschaft ihre Kunst betreiben.

Ich danke Ihnen!

Heinz Weißflog

Ansprache anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Zauber des Vergänglichen“ in der Carl-Lohse-Galerie in Bischofswerda vom 27.6. – 10.8.2014.
Mit Fotografien von Gabriele Seitz und Malerei und Grafik von Rita Geißler.