Wissenschaftliche Vielfalt in menschlicher Dimension

Auf ihrer Entdeckungsreise in die Welt menschlicher Gesichter schlägt die Fotografin Gabriele Seitz mit dieser Ausstellung und dem sie begleitenden Katalog eine neue Seite auf: Darin zeigt sie die Ergebnisse intensiver fotografischer Sitzungen: Porträts von Wissenschaftler/innen aus zahlreichen Dresdner Instituten. Seit Beginn ihrer fotografischen Laufbahn ist sie vom menschlichen Antlitz fasziniert. Das Gesicht erzählt vom Leben des Menschen wie eine Baumrinde oder die Tektonik von Steinen, vielleicht auch wie die mikroskopischen Aufnahmen wissenschaftlicher Präparate und Zellgewebe. Wie im Großen so im Kleinen. Oberfläche, ins rechte Licht gesetzt, offenbart dabei Inneres, Ererbtes und Erworbenes. Das Leben, das sich in ein Gesicht geschrieben hat. Durch die perfekte Handhabung der Analogkleinbildkamera eröffnet sich eine besondere Bildpoesie, die das ganz Persönliche (den Habitus) ebenso umfasst wie das Spezifische geistiger Beschäftigung, die teils prägend für jeden jeweiligen Porträtierten sind und sich auch in seiner "Haltung" ausdrückt. Das können minimale Regungen sein, Teile der Kleidung, der Frisur und die im Augenblick sich zeigende, flüchtige Aura des in die Kamera blickenden Menschen. In dieser Ausstellung zeigt Gabriele Seitz neben ihren nahen Porträts vermehrt auch Porträtaufnahmen mit den auf dem Schoß oder den Oberschenkeln liegenden Händen der Porträtierten. Hände und Körperhaltung sind ihr wichtig. Aus Respekt tritt Gabriele Seitz einen Schritt zurück, aus Achtung vor dem Einzelnen und seiner geistigen Kraft. Fast puristisch, ohne Beiwerk und störende Raumelemente, legt sie Wert auf das Wesentliche des Porträtierten. Dabei beobachtet Gabriele Seitz ganz genau: Aus dem aus mehreren Aufnahmen bestehenden empirischen Material filtert sie schließlich das Charakteristische, die e i n e Aufnahme, die pars pro toto Repräsentant für die Persönlichkeit ist, in der das Wesen der/des Porträtierten zusammenfließt. Das ist, bedenkt man die kurze Zeit des Kennenlernens und die große Anzahl der Porträtierten, eine hoch intelligente Leistung, die von Gabriele Seitz Erfahrung im Umgang und ein besonderes Abstraktionsvermögen verlangt.

Dresden lebt durch seine Wissenschaft und hat seine Reputation als besonderer Standort in Deutschland zu verteidigen. In den exponierten wissenschaftlichen Instituten von Dresden, die unter dem Dach des DRESDEN-concept der TU Dresden zusammengefasst sind, arbeiten bis zu 50 Prozent ausländische Mitbürger. Synergien sind gefragt, die den Standort Dresden voranbringen sollen. Die internationale Ausrichtung der Forschungsarbeit ist eine unbedingte Notwendigkeit, um im Rahmen der zahlreichen Aufgaben gemeinsam und interdisziplinär zu objektiven und allen Ländern zu Gute kommenden Ergebnissen zu gelangen, die von globalem Nutzen sind. DRESDEN-concept setzt auf Vielfältigkeit und Internationalität. Die anstehenden Probleme lassen sich nur auf weltweiter Ebene lösen.

Die Aufgabe von Gabriele Seitz bestand darin, eine Reihe von Wissenschaftlern führender Dresdner Wissenschaftsinstitute der Öffentlichkeit über ein Porträtfoto vorzustellen. Die vorliegende künstlerische Bildpräsentation von Wissenschaftler/innen baut zugleich eine tragfähige Brücke zwischen den Forschenden unterschiedlicher Herkunft und Nationalität, indem sie vor allem die menschliche Seite heraushebt. Die fotografischen Porträts entstanden jenseits von Inszenierungen in einem für alle gleichwertig ausgesuchten neutralen Raum, in dem nur die jeweilige Person von Bedeutung war. Dennoch ergaben sich bei der Arbeit von Gabriele Seitz unterschiedliche subjektive und objektive Momente, wie das Licht und die Raumsituation zur jeweiligen Tagesstunde in den verschiedenen Instituten, aber auch die psychische Gestimmtheit der ihr anvertrauten Personen, die das Verhältnis zur Fotografin und den Augenblick des Fotografierens beeinflusst haben. Für das fotografische Konvolut ist interessant, dass hierarchische Aspekte keine Rolle spielten. Das demokratische Prinzip gleicher Bedingungen und fotografischer Realisierung prägt den Charakter dieser Bilder. Das Spektrum der Porträtierten ist weit gefächert: Vom Studenten über den wissenschaftlichen Assistenten und Doktoranden bis zum Professor sind in der Präsentation alle Berufsstände und Qualifikationen gleichermaßen dicht vertreten. Die einzelnen Bilder entstanden in einer freien und ungezwungenen Atmosphäre. Deshalb spiegeln sie die persönliche und menschliche Seite ihrer Probanden auf ganz natürliche-intime Weise.

Heinz Weißflog

Katalogtext zur Ausstellung W.I.R. World Identity Relations, Wissenschaftlerporträts von Gabriele Seitz in den UNIVERSITÄTSSAMMLUNGEN Kunst + Technik in der ALTANAGalerie der TU Dresden, 29.4.-5.8.2016.