Vernissage: Gabriele Seitz »Face to Face. Radebeuler Künstler im Porträt«
Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Frau Baum, liebe Frau Seitz,
»Face to Face«, von Angesicht zu Angesicht, stehen wir als Betrachter vor 54 Porträtaufnahmen in Schwarz-Weiß, die in dieser Ausstellung präsentiert werden. Es sind Porträtaufnahmen von Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Sparten, die in Radebeul ihren Lebensmittelpunkt haben. Vorrangig widmen sich die Porträtierten den klassischen Genren der bildenden Kunst – Malerei, Grafik und Bildhauerei. Gleichwohl sind mit der Autorin Ju Sobing, der Violinistin Johanna Mittag und der Kostümbildnerin Helga Alschner auch Vertreterinnen anderer Gattungen – der Literatur, Musik und angewandten Kunst – ausgestellt.
Mit ihren Porträts Radebeuler Künstler möchte die Fotografin Gabriele Seitz keineswegs einen enzyklopädischen Kanon festlegen oder Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Die gezeigte Auswahl sowohl namhafter als auch weniger bekannter Künstler ergab sich aus persönlichen Kontakten sowie durch Empfehlungen Dritter. Ihre Zusammenstellung ist individuell, geleitet von der Freude an der Arbeit und der Begeisterung, »die Ausstrahlungskraft eines Menschen im Porträt einzufangen«. Es ist auch der dokumentarische Reiz, der Gabriele Seitz anregt, zahlreiche Porträts von Künstlerkollegen zu vereinen und damit die Porträtierten und ihr künstlerisches Schaffen zu würdigen.
Die 54 ausgestellten Fotografien entstanden größenteils im Rahmen eines Buchprojektes, dem sich Gabriele Seitz in Zusammenarbeit mit dem Kunstrezensenten Heinz Weißflog die vergangenen zwei Jahre gewidmet hat. Unter dem Titel »Dresdner Künstler im Blick. In 190 + 9 Ateliers« erschien die umfangreiche Publikation als Eigenproduktion und wurde erstmals im September vergangenen Jahres in der Loschwitzer Galerie Félix vorgestellt. Wenngleich der Untertitel andere Assoziationen weckt, ist er als humorvoll-persönliche Anspielung zu verstehen. Denn: Neun ist die Lieblingszahl von Gabriele Seitz. Insgesamt fotografierte sie hingegen 207 Frauen und Männer verschiedener Generationen. Dabei fertigte sie von jedem Künstler ein Atelierfoto und ein Porträt an. Die Vor-Auswahl erfolgte dann in Abstimmung mit den Porträtierten, wobei diese die Entscheidung meist der Fotografin ließen. Von Heinz Weißflog und anderen Autoren wurden zudem sachkundige Kurztexte und Biografien verfasst, die informativ und fundiert die Künstler, ihr Leben und ihr Werk vorstellen.
Umso unverständlicher ist es, dass diesem außergewöhnlichen Kompendium keine finanzielle Unterstützung zugedacht wurde. Die komplexe wie anspruchsvolle Publikation ist aus eigener Initiative heraus entstanden. Mit persönlichem Engagement und außergewöhnlicher Hingabe schuf Gabriele Seitz mit »Dresdner Künstler im Blick « ein einzigartiges dokumentarisches Zeitzeugnis künstlerischen Schaffens in Dresden und Umgebung – ein Projekt, das keineswegs als abgeschlossen gelten kann. Vielmehr schürt es die Hoffnung, weiterhin in Bild und Text die jüngste Dresdner Kunstgeschichte in ihrer Vielseitigkeit und mit ihrer unverwechselbaren Handschrift zu erfassen. Gabriele Seitz‘ Porträtaufnahmen gestatten »einen [ersten] Blick in ein wahres Kaleidoskop« der regionalen Kulturlandschaft, wie Herr Dr. Ralf Lunau, ehemaliger Kulturbürgermeister von Dresden, in seinem Vorwort ausführt.
Für »Face to Face« wurden ausschließlich die Porträts Radebeuler Künstler ausgewählt, ergänzt durch einzelne ältere Arbeiten. Wie bereits im Buch »Dresdner Künstler im Blick « sind auch in dieser Ausstellung Porträtaufnahmen und Atelieransichten nebeneinandergestellt. Exemplarisch stehen hierfür die beiden Porträts des 1944 in Dresden geborenen Bildhauers Detlef Reinemer. Auf der linken Aufnahme ist der Künstler sitzend in seinem lichtdurchfluteten Atelier zu sehen, umgeben von eigenen Porzellanarbeiten und einer fernöstlichen Statue aus Stein. Eine große Fensterfront in der rechten Bildhälfte lenkt den Blick hinaus ins Grüne, wo sich Bäume und Sträucher zu einem Teppich aus Blättern und Ästen verbinden. Der Künstler, das Licht und die Natur – eine stimmungsvolle und empfindsame Atmosphäre, die von einem sensiblen Moment der persönlichen Begegnung der Fotografin mit dem Porträtierten verrät, einem Moment innigster Harmonie und Verbundenheit. »Die Auseinandersetzung mit Kunst berührt, macht nachdenklich, bereichert« schreibt Gabriele Seitz in ihrem Nachwort.
Auf der rechten der beiden Fotografien ist Detlef Reinemer im Viertelprofil zu sehen. In leicht gesenkter Kopfhaltung sieht er mit sanften Augen den Betrachter an. In seinem nachdenklich-verträumten Blick spiegelt sich die Ruhe und Stille wieder, die bereits von der Atelierszene ausgestrahlt wird. Erst in der sequenziellen Folge der beiden Fotografien jedoch verdichtet sich der Moment des zwischenmenschlichen Erlebnisses zwischen dem Betrachter und dem Porträtierten. Der Betrachter ist versucht, durch Mimik und Körperhaltung auf dessen Charakter und Persönlichkeit zu schließen.
Wie auch in der Aufnahme des verstorbenen Malers, Grafikers und Kleinplastikers Horst Hille von 2014. Der Künstler sitzt an einem Arbeitstisch; vor ihm steht eine Staffelei. Künstlerutensilien und kleinformatige Werke, Bücher und Ordner reihen sich in Regalen und Schränken. In der Dichte der Komposition und der Vielzahl der Details wird eine Klarheit offenbar, die auf den ersten Blick überrascht und zugleich kennzeichnend für die Arbeiten von Gabriele Seitz ist. Mit ihrer Kamera konzentriert sie sich auf das Wesentliche, wobei sie ablenkende Details ausspart und sich auf die charakteristischen Wesenszüge des Porträtierten fokussiert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Publikation »Dresdner Künstler im Blick. In 190 + 9 Ateliers« widmen sich mehrere Texte dem Thema Porträt und besprechen die hier ausgestellten Porträtaufnahmen von Gabriele Seitz aus verschiedenen Blickwinkeln. Aus diesem Grund möchte ich mich im Folgenden vor allem auf die Atelieraufnahmen konzentrieren, die aufgrund ihrer geringen Anzahl und kompositorischen Vielfalt für mich eine besondere Stellung im Werk von Gabriele Seitz einnehmen:
Mit ihren Atelieraufnahmen offenbart Gabriele Seitz einen Blick hinter die Kulissen, einen intimen Blick ins Verborgene. Heute bleiben die Ateliers der Künstler meist dem Publikum verschlossen. Nur Galeristen und Kuratoren, ausgewählte private Kunden und mitunter Freunde dürfen den Ort kreativen Schaffens betreten. Umso häufiger wird in den Medien die Exklusivität eines Atlierbesuches fotografisch oder filmisch in Szene gesetzt, der Künstler selbstbewusst, distanziert und medienscheu in der fast schon sterilen Umgebung seines Ateliers inszeniert. Dadurch bekommt das Publikum etwas zu sehen, das normalerweise völlig im Verborgenen bleibt und gleichzeitig nur schwer vorstellbar ist: dem Künstler bei der Arbeit über die Schulter blicken zu können. Die aufgenommene Szene soll dabei einen möglichst 'authentischen' Eindruck erwecken. Doch dies täuscht: Der Raum wird zur Kulisse, der Porträtierte zur Marionette. Die Szene offenbart sich als demonstrative Inszenierung, als bewusste Täuschung. Zugleich tritt durch die Veröffentlichung die Exklusivität als Schlagzeile in den Hintergrund. Mit dem Lüften des Verborgenen schwindet die Faszination; das nur schwer Vorstellbare wird Gewissheit.
Bereits 1988 äußerte der irisch-amerikanische Kunstkritiker Brian O'Doherty in seinem Buch »Kunst in Amerika. Maler unserer Zeit«: »Der Künstler bei der Arbeit ist zu einem Fetisch der Moderne geworden. Statt dass wir einen Künstler hätten, der ein Bild malt, haben wir ein Bild, das den Mythos von einem Künstler malt. Das macht die schlichte Beobachtung eines Malers bei seiner Arbeit so kompliziert«. So problematisch es ist, von dem Lebensraum eines Künstlers direkt auf sein Werk und ihn zu schließen – frei nach dem Ausspruch »Zeig mir, wie du lebst – und ich sage dir, wer du bist!« – so problematisch ist es, dies zu unterlassen. Doch wo endet die Dokumentation und wo beginnt die Interpretation?
Seit der Erfindung der Fotografie 1839 durch den Franzosen Louis Daguerre ist die Täuschung dem fotografischen Medium implizit. Bildmanipulation, Retusche und optische Verzerrung waren schon früh verbreitete Stilmittel. Nur bedingt kann sich die Fotografie als ein Abbild der »realen« Gegebenheiten verstehen lassen, als reine Dokumentation des Gesehenen. »Weniger denn je sagt eine einfache ‚Wiedergabe der Realität‘ [, eine Fotografie,] etwas über die Realität aus« konstatierte Bertolt Brecht 1931 kritisch in seinem Text »Der Dreigroschenprozeß. Ein soziologisches Experiment«. Die Objektivität und damit auch der dokumentarische Anspruch der Fotografie muss immer bezweifelt werden. Umso mehr stellt sich die Frage: Wo endet die Dokumentation und wo beginnt die Interpretation? Wo hört der technische Prozess der Aufnahme auf und wo fängt der künstlerische Eingriff durch den Fotografen an?
Diese Fragen lassen sich nicht abschließend klären. Die Grenze müsste immer wieder neu definiert werden. »So kann es nicht verwundern, dass es wenige Fotografien über lebende Künstlerinnen und Künstler gibt, die keine strategische Imagebildung und Mystifizierung betreiben« resümierte der deutsche Kunsthistoriker Hubertus Butin einmal. Zu den wenigen Ausnahmen sind die in dieser Ausstellung präsentierten Atelieraufnahmen von Gabriele Seitz zu zählen. Die Fotografin nimmt sich selbst zurück, um den Porträtierten die Möglichkeit zu geben, sich vor der Kamera zu positionieren. Daraus resultiert die dokumentarische Qualität ihrer Arbeiten.
Mit einer alten analogen Kleinbildkamera von Canon fotografiert Gabriele Seitz klassisch in Schwarz-Weiß. Dabei greift sie weder auf Blitzlicht noch auf andere technische Hilfsmittel zurück. Sie stellt lediglich ein Stativ im Abstand von mindestens zwei Metern auf. Als Lichtquelle verwendet Gabriele Seitz natürliches Licht, welches zumeist seitlich einfällt, sodass ein dunkler Schattenwurf entsteht, der bestimmend für die Formstrenge ihrer Fotografien ist. Der starke Hell-Dunkel-Kontrast ihrer Kompositionen spiegelt ihre Vorliebe für dunkle Bilder wider. Obgleich ihr Zugriff artifiziell ist, verweigert sich Gabriele Seitz bewusst »strategischer Imagebildung und Mystifizierung«. Es geht ihr hingegen um den dargestellten Menschen – ebenso wie um das spannungsvolle Verhältnis, das sich bei der Betrachtung zwischen Fotografin, Porträtierten und Betrachter herstellt.
In ihren Fotografien zeigt Gabriele Seitz den Künstler als einen in den Arbeitsprozess integrierten – als Schaffenden. So sehen wir beispielsweise in einer Aufnahme aus dem Jahr 2010 den verstorbenen Grafiker Werner Wittig in seinem Atelier im Wald. Im verlorenen Profil sitzt der Künstler über seinen Arbeitstisch gebeugt, den Rücken dem Betrachter zugewandt. Durch die Fensterfront vor ihm fällt Licht ein, welches den Raum ‚schlagschattenartig‘ erhellt. Das Stimmungsbild changiert zwischen Nähe und Ferne, zwischen Einblick und Entfremdung. Durch die Komposition des Bildes werden wir als Betrachter in den Raum hineingezogen, wobei sich unser Blick in den Ästen des Baumes verliert, der sich vor dem Fenster befindet. Zugleich bleibt der Porträtierte durch seine Körperhaltung distanziert.
Gabriele Seitz positioniert gleichwohl in ihren Werken den Künstler inmitten seines Ateliers – als Teil seiner unmittelbaren Umgebung. Wie beispielsweise in der Fotografie des 2015 verstorbenen Malers und Restaurators Dieter Melde. Der Künstler sitzt umgeben von einer Druckerpresse, von Pinseln und Farben sowie von erst kürzlich begonnenen oder bereits fertig gestellten Werken in seinem Atelier. Ohne die Anwesenheit des Künstlers würde das Atelier wie ein zeitloses Stillleben wirken. Nur durch den Raum und die Präsenz des Künstlers erhält es seine kreativ empfundene Atmosphäre.
In der Gesamtheit ihrer Dokumentation zeigt Gabriele Seitz den Künstler als einen permanent im Schaffensprozess stehenden Menschen. Auch ihre Porträts zeichnen sich durch die Suche aus, »in den Gesichtern [der Porträtierten] die Triebkraft ihres künstlerischen Tuns zu ergründen«, wie Karin Weber schreibt. Denn: Ein Künstlerfoto ist nicht nur das Portrait einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, das Bild eines einzigartigen Menschen. Es ist auch Interpretation und Komposition. Im besten Falle aber ist es die persönliche Hommage des Fotografen an den abgebildeten Künstler. Wie die hier ausgestellten Fotografien von Gabriele Seitz an die porträtierten Radebeuler Künstler.
Vielen Dank.
Anna Schinzel, Kunsthistorikerin
29. Februar 2016