POESIE DER KONTRASTE

Dresden, 18.09.2009

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Kunst, liebe ausländische Freunde ...!

Die Freude und das Interesse am Menschen trieb die seit 14 Jahren in Radebeul lebende Gabriele Seitz in die Arme der Fotografie. Ihre großen Erfahrungen in sozialpädagogischer Hinsicht ... bilden dabei die Grundlage für ihre sensitive Arbeit mit dem Medium Fotografie. Aus einer Einladung in den Ausländerrat wurde eine kontinuierliche Beschäftigung mit Einwanderern, die Sorge und das Wissen um die Schwierigkeiten der Aufnahme und Eingliederung von Ausländern in unser Land. Gabriele Seitz erhielt Aufträge für umfangreiche Dokumentationen von Veranstaltungen im Bereich der Ausländerbetreuung, vor allem für die Interkulturellen Tage. Endlich entdeckte sie für sich das fotografische Porträt, das über das Abkonterfeien des Gesichts hinausgeht, Einfühlung, Takt und ein feines Gefühl für den anderen voraussetzt. Inzwischen hat sich Gabriele Seitz durchgeboxt und sich zu einer ernst zu nehmenden künstlerischen Fotografin entwickelt, die dabei ist, ihre eigene Sprache zu finden. Im Porträt inszeniert sie vorwiegend zwischenmenschliche Situationen, fügt Elemente des Interieurs ein und stellt die Person immer in einem Zusammenhang mit einer Beschäftigung oder ihr lieb gewordenen Dingen, die sie wie Attribute ins Bild hineinnimmt.

Bei dieser Ausstellung handelt es sich vor allem um fotografische Porträts im weitesten Sinne, in denen Mentalität und Stimmung eine besondere Einheit bilden. Über einen Zeitraum von mehreren Jahren begleitete sie zwei ihr inzwischen lieb gewordene Menschen aus Angola und dem Iran, die sich hier in Deutschland kennengelernt haben und eine Liebesverbindung eingegangen sind. Das zweite Kind ist unterwegs, die Tochter Jasmin ist fünf Jahre alt. Die enge Freundschaft zwischen Gabriele Seitz und dem Paar half beiden Seiten die Fremdheit der Kulturen, ihrer Sitten und Traditionen zu überwinden und neue Erfahrungen im gegenseitigen Umgang zu entwickeln. 2008 entstand das Projekt für einen Katalog mit Fotografien von Jack Panzo und Nazanin Zandi zusammen mit Texten von Hilde Domin, Martin Buber, Else Lasker-Schüler, Pablo Neruda u.a., aber auch mit eigenen Gedichten der Autorin. Dem inzwischen erschienenen Band sind für diese Ausstellung ein großer Teil von Bildern entnommen. Er entstand zusammen mit der Galeristin Sybille Nütt, in deren Räumen die Fotografien zum ersten Mal gezeigt wurden. Neue Fotografien kamen hinzu und neue werden vielleicht den Lebensweg der beiden Menschen weiterhin begleiten.

Die Modelle

Mit einem Trommelwirbel begann die Vernissage: Der Ton der Trommel ruft auch heute noch die Männer der Bantudörfer im Norden Angolas zusammen. Ihre Trommelsignale geben Botschaften an andere weiter. Nun haben sie uns erreicht. Gabriele Seitz hat Jack Panzo aus dem Volk der Bakongo in seinen Lieblingsbeschäftigungen aufgenommen. Als Trommel- und Tanzlehrer arbeitet der Künstler den ganzen Tag bis in die Nacht hinein, hingegeben an die Musik und Tanzkunst seines Heimatlandes Angola, in dessen Hauptstadt Luanda er 1971 geboren wurde und das er 1996 aus politischen Gründen verließ und nach Sachsen kam. Er studierte Tanz und Rhythmus im angolanischen Kultusministerium, lernte Choreografie und Tanzkomposition, Gesang, Pantomime, Tanzpädagogik und Geschichte des afrikanischen Tanzes. Von 1985 bis 1995 nahm sein Ballettensemble an Auftritten in verschiedenen Städten Angolas und im Ausland teil. Als kultureller Botschafter seines Landes macht er heute vor allem Jugendliche und Kinder in Schulen mit afrikanischer Musik vertraut, tritt aber auch mit seinem Trommelensemble „Tussangana“ auf, das heißt in Bakongo: „gemeinsam“. Gabriele Seitz zeigt auf ihren Bildern Jack, eingehüllt in ein...Jägerkostüm, das den Kopf umhüllt wie bei einem Schamanen. Trommelnd...tanzt er extatisch und bewegt seinen Körper in meditativer Anmut, kraftvoll und ein wenig furchteinflößend. Der traditionelle Holzfetisch, den er auf dem Handteller balanciert, stellt ein Zeichen für  „Kraft“  dar, soll beschützen und wird von Generation zu Generation an den Nachfolger weitergegeben. Jack ist ein talentiertes Modell, der die Schönheit und Beweglichkeit des eigenen Körpers gut zur Schau stellt, die Feinheit des Empfindens aber auch die Urkräfte Afrikas verkörpert.

Nazanin Zandi kommt aus dem Iran. Die junge attraktive Frau arbeitet freiberuflich als Grafikerin und Architektin in Dresden. Sie studierte in Dresden und Paris Architektur. Ihre Kindheit verbrachte sie in Italien, so spricht sie als Muttersprache Italienisch, beherrscht aber auch Portugiesisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Persisch und arbeitet öfters als Dolmetscherin auf Messen bei schwierigen Verhandlungen. Sie malt und zeichnet und richtet Ausstellungen aus. In gefühlvollen Aufnahmen präsentiert Gabriele Seitz vor allem das helle, zarte, von dunklen, gekrausten Haaren umschattete Gesicht und die zierlichen Hände, die sich gegen das Schwarz der Haut ihres Partners elfenbeinfarben abheben: „Ebony and Ivory, living in perfect harmony“.

Gabriele Seitz verwendet für ihre Schwarz-Weiß-Fotos die Kleinbildkamera (Canon und Pentax) und erzielt mit ihr für das relativ große Format ihrer Positive eine erstaunliche Auflösung. Die grafische Feinheit von Haut und Händen, Gesicht und Haaren steigern das sinnliche Erlebnis vor den Bildern. Der Kontrast von Hell und Dunkel, die ineinander verschränkten Hände, das sanfte sich Hinneigen zum anderen, das Spiel mit einer liebevollen Gestik, all das macht in einer inszenierten, leicht überhöhten Form den Kontrast und die Harmonie von Schwarz und Weiß deutlich, die Poesie einer innigen Begegnung zweier so unterschiedlicher Hautfarben. Die Fotografien von Gabriele Seitz beziehen ihre Kraft aus diesem Gegensatz und sind ohne ihn nicht zu denken. In den Paaraufnahmen beweist die Fotografin ihr szenisches Geschick, auch bei der Aufnahme der Schwangerschaft von Nazanin Zandi. Einige Arbeiten schwingen in einer erstaunlichen Grauwertigkeit, wie Jasmin als Baby. Sie zeigen, dass die Künstlerin mit ihren formalen Mitteln umzugehen weiß...

Kunst soll Menschen verbinden und wenn möglich, zwischen ihnen Brücken schlagen, aber auch Erkenntnisse bringen. Genau das ist das Anliegen dieser Ausstellung. Die Einfühlung in das uns Fremde, Andere, das oft zu Aggressionen reizt, weil wir einander nicht verstehen und nicht tolerieren, hier ist sie gelungen. Schon der andere Geruch, den Fremde an sich tragen, springt uns an, dann die andere Hautfarbe, die andere Sprache und Kultur. Wie sollen wir aber zusammenleben, wenn uns das bereits gegeneinander aufbringt? Es ist ein Urinstinkt, dem anderen, fremden, mit Misstrauen zu begegnen. Aber es gibt auch Völker, und das sind nicht wenige, bei denen Gastfreundschaft gepflegt wird und zum guten Umgangston gehört. Sollen wir unser Leben auf Instinkten aufbauen? Auf Misstrauen? Es ist wie ein Spiegel: Der Fremde, das ist schließlich der Fremde in uns selbst. Die Frage ist: Wie halten wir ungewohnte Gefühle und Empfindungen aus, ohne zu stigmatisieren, abzulehnen, auf Konfrontation zu gehen? Gehen wir das Risiko einer freundschaftlichen Begegnung ein oder weichen wir ihr aus? Plötzlich, vielleicht, indem wir uns überwinden, entdecken wir einen fremden Menschen wie einen anderen Kontinent und sind fasziniert von der plötzlichen Nähe. Das denke ich angesichts der wahrsichtigen fotografischen Porträts von Gabriele Seitz. Lassen Sie sich auf eine Begegnung ein, „tussangana“!
Ich danke Ihnen!

Heinz Weißflog

Ansprache zur Ausstellungseröffnung „Poesie der Kontraste” im LadenCafe aha, Dresden.
Veranstalter: CABANA – Dialog der Kulturen  anlässlich der Interkulturellen Tage 2009
gefördert von der Stadt Dresden und Misereor