Menschen und ihre Berufung

Gabriele Seitz ist eine Fotografin, die sich vorurteilsfrei für Menschen interessiert. Viele Jahre fotografierte sie im Selbstauftrag Künstler auf Ausstellungseröffnungen. Sie wurde mit ihnen bekannt und es reizte sie, in einem Buch Porträts von Dresdner Künstlern zusammenzufassen. In Zusammenarbeit mit dem Kunstrezensenten Heinz Weißflog, setzte sie ihr anspruchsvolles, wie umfangreiches Projekt um, das keineswegs als abgeschlossen gelten kann. Er schrieb die sachkundigen Kurztexte und sie besuchte die Künstlerinnen und Künstler, fuhr ungefähr 18.000 Kilometer durch Elbflorenz und das Dresdner Umland und fotografierte. Es entstanden sensible Momentaufnahmen in Text und Bild von Menschen, die bildnerisch tätig sind, die mit ihrer unverwechselbaren Handschrift vom großen Potential Dresdner sowie sächsischer Kunst national wie international künden. Gabriele Seitz war darauf bedacht, bekannte und weniger bekannte Künstlerinnen und Künstler in ihrem Kompendium zu erfassen und auf den Schulterschluss der Generationen zu achten. Ohne ablenkende Details konzentrierte sie sich in den klassischen Schwarz-Weiß Fotografien auf Mimik und Körpersprache der fotografierten Personen, auf das ganz persönliche zwischenmenschliche Erlebnis, das sich in dem Moment ereignete, als sie auf den Auslöser der Kamera drückte. Die Intensität der Begegnung zwischen der Fotografin und den Künstlerinnen und Künstlern ist oftmals sehr intensiv spürbar, wie aus Ferne Nähe wurde, aus Distanz Verständnis. Stille beherrscht die Arbeiten, die mit einer immensen Lebenskraft aufgeladen sind, aber auch eine undefinierbare Melancholie in sich tragen. Es überkreuzt sich das Vergängliche mit der Ewigkeit. Einige der dargestellten Personen leben nicht mehr unter uns: Horst Hille, Dieter Melde und Werner Wittig. Doch ihre bildhafte Präsenz vermittelt etwas von ihrer leibhaften, geheimnisvollen Energie. Sie bleiben für uns mit diesen Aufnahmen lebendig.

Gabriele Seitz provoziert nicht, sondern meditiert über die dargestellten Menschen. Sie lachen oder lächeln in die Kamera, sie sitzen oder stehen in ihrem Atelier oder vor ausgewählten Arbeiten, mit einer Katze auf dem Arm oder bei der Gartenarbeit. Sie sind zuweilen auch ernst bis skeptisch. Gabriele Seitz sucht in den Gesichtern die Triebkraft ihres künstlerischen Tuns zu ergründen. Ein fotografisches Abbild ist immer auch Inbegriff der Fragilität des menschlichen Daseins, da im Antlitz die Spuren der eigenen Vergänglichkeit und die Erinnerung an Vergangenes unauslöschbar eingeschrieben sind. Ihre Fotografien wirken wie gestohlene Augenblicke, dem Fluss des Lebens entrissen, zuweilen auch wie aus der Zeit gefallen. Aus geheimnisvollen Schwärzen lässt Gabriele Seitz ihre Personnage aufleuchten.

Sie modelliert mit Licht und lässt sich einfühlsam und diszipliniert mitreißen, stellt nicht bloß, sondern macht etwas von dem sichtbar, was den Menschen ausmacht, der sich tagtäglich der Farbe, Form und Linie verschreibt, dem faustischen Prinzip folgend, zu ergründen, was die Welt im Innersten zusammenhält. So entstand auf unspektakuläre Weise ein faszinierendes Buch in Wort und Bild über Menschen, die künstlerisch tätig sind.

Karin Weber