Fotografin porträtiert Künstler ihrer Stadt
Gabriele Seitz hat etliche Künstler aus der Dresdner Region vor ihre Kamera geholt. Eine lokalspezifische Auswahl ihrer Bilder ist jetzt in der Radebeuler Stadtgalerie zu sehen.
Die Radebeuler Fotografin Gabriele Seitz hat in den vergangenen zwei Jahren eine umfangreiche Folge von Bildnissen Dresdner Künstler aufgenommen und im Eigenverlag als Fotobuch herausgegeben. Die aktuelle Ausstellung „Face to Face“ in der Stadtgalerie Radebeul löst aus der künstlerischen Population des Elbtals nun jene Personen heraus, die in Radebeul leben.
Immerhin handelt es sich dabei um ein reichliches Viertel der insgesamt gut 200 Bilder. Das ermöglicht eine Hängung, die weniger von dokumentarischen Zusammenhängen, als von ästhetischen Wirkungen ausgeht. Im städtischen Raum für Kunstausstellungen werden jetzt nicht Kunstwerke, sondern die zufällig hier wirkenden Künstler selbst herausgestellt. Die einzige Ausnahme ist Bernd Hanke, dessen Porträt gezeigt wird, weil er in Radebeul geboren ist. Natürlich gehört die Fotografin ebenfalls der Radebeuler Kunstszene an.
Der Idee einer Selbstbespiegelung der lokalen Künstlerschaft haftet etwas Indiskretes an. Davor werden wir vor allem dadurch gerettet, dass die Fotos selbst sehr diskret bleiben. Die Selbstverständlichkeit der Darstellungen verweigert der vulgären Neugier das Futter. Zugleich gräbt sie der Eitelkeit der Porträtierten das Wasser ab. Das neutrale Schwarz-Weiß der Baryt-Abzüge vermenschlicht sie zusätzlich.
Gabriele Seitz tritt den von ihr Porträtierten nicht technisch hochgerüstet gegenüber. Das Licht, in das sie ihre Modelle setzt, bleibt das natürliche. Es scheint zum Fenster hinein oder wird durch die Blätter der Bäume gefiltert. Es gibt auf den Porträts keine fantastische Tiefenschärfe, die jede Hautpore in einen Zusammenhang mit dem entlegensten Winkel des Raumes bringt und damit vielen Fotos eine übernatürliche und beklemmende Präzision verleiht. Wir wollen das eigentlich gar nicht alles wissen, sondern nur ganz allgemein im Bilde sein. Durch die Kunst der Gabriele Seitz wird der Betrachter höflich mit in eine Situation hineingelassen, in der die Fotografin zurückhaltend die Räume betritt und auf den Gastgeber zugeht.
Die Atelierfotos zeigen die Künstler frontal oder in unaufgeregter, nachdenklicher Haltung. Der Holzbildhauer Fritz Peter Schulze hat wie ein stolzer Werkmeister vor seinen Stücken Aufstellung genommen. Detlev Reinemer sitzt wie ein buddhistischer Mönch in der Pagode. Fred Walther hat auf einem niedrigen Sessel Platz genommen, neben ihm lehnen schichtweise Dutzende Bilder aneinander. Werner Wittig sinniert mit dem Eisen in der Hand über dem Druckstock. Energischer drückt Bärbel Voigt die Rohrfeder in die Farbe auf einer Glasplatte.
Die Diagonale der Bewegung ist in der Ausstellung die Ausnahme von der Regel. Die Fotos, die in der Radebeuler Stadtgalerie gezeigt werden, sind überwiegend statisch und ruhig. Große Porträtköpfe, Stehende und Sitzende sind zusehen. Es wird nichts inszeniert. Aufgenommen wurden die Porträts mit einer schlichten Kleinbildkamera. So wirken sie mehr stimmungsvoll als sezierend. Der Maler Wilhelm Rudolph hat gegenüber seinem Biografen Horst Drescher einmal geäußert, die Kamera würde mit dem Auge eines Reptils blicken. Die Lichtbilder von Gabriele Seitz sind dagegen mit menschlichen Augen geschaut.
Hinzu kommt, dass heute kaum noch etwas Verborgenes entdeckt werden kann. Die Werkstätten der Künstler werden bei „Tagen des offenen Ateliers“ dem Publikum geöffnet. Die Künstler müssen sich zu oft als Darsteller ihrer selbst üben. Keine terra incognita ist mehr zu entdecken: weder im Arbeitsumfeld der Personen, noch in den Zügen ihrer Gesichter. Da ist es konsequent, auf jede zusätzliche Steigerung durch fotografische Inszenierung zu verzichten.
Es sind überwiegend Künstler der älteren Jahrgänge, denen wir im geordneten Refugium ihrer Ateliers begegnen. Die jüngeren sind weniger sesshaft und kontemplativ zu erleben. Eher sind sie in der Natur zugange wie Dorothee Kuhbandner. Bei den wenigen Bildern, auf denen die Künstler tätig zu sehen sind, hat die vorsichtig taktvolle Annäherung eine glaubhafte Wiedergabe ermöglicht.
Familiär und persönlich ist das Ehepaar Aust-Curling als einziges Doppelporträt in der Ausstellung vertreten. Mit Horst Hille, Dieter Melde und Werner Wittig sind auch Bilder jüngst Verstorbener in der geheimnisvollen fotografischen Widerspiegelung der kräftigen Schwärze der Silbergelatineabzüge erhalten. Wie auf alten Gemälden fasst der dunkle Schatten die Figuren ein. Wie auf einer Radierung von Rembrandt strahlt die lichte Kaskade des weißen Barthaars von Thomas Gerlach hervor.
Sebastian Hennig
Meißner Tageblatt 26.02.2016