Rede der Kuratorin/Künstlerin Nazanin Zandi
im SMGI 18.12.2017
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Köpping,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren,
Sie haben heute die Möglichkeit, die Dauerausstellung mit dem Titel “Drei und eine Welt” in den Fluren des Staatsministeriums für Gleichstellung und Integration anzuschauen.
Als Kuratorin dieser Ausstellung habe ich mich entschieden, nicht die Arbeiten eines einzelnen Künstlers/einer einzelnen Künstlerin oder eines einzelnen Fotografen zu zeigen, sondern bewusst eine Interaktion zwischen den Werken unterschiedlicher Fotografen mit unterschiedlichen Hintergründen und unterschiedlichen Geschichten zu betonen.
Unsere drei ausstellenden Fotografen sind heute hier anwesend:
Herr Ahmad Mehssen Kaddoura
Herr Raisan Hameed
und Frau Gabriele Seitz
Herr Ahmad Mehssen Kaddoura lebt seit 2 Jahren in Deutschland, er ist im Libanon, in der Hauptstadt Beirut, in einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie geboren, in einem Flüchtlingslager im Süden des Libanons aufgewachsen, in genau dem Lager Ar-Raschidiya, das Sie auf vielen seiner Fotos sehen werden. Schon im Libanon hat er fotografiert und für eine große Architekturorganisation für Geflüchtete gearbeitet. Herr Kaddoura arbeitet auch hier in Dresden seit einem Jahr in einem Ingenieurbüro, hat schon an mehreren Theaterprojekten und an zahlreichen Ausstellungen teilgenommen. Und trotzdem ist Herr Kaddoura für mich einer dieser typischen Fälle von Asylbewerbern, die in einem schrecklichen Widerspruch leben, wunderbar integriert, aber auf gepackten Koffern sitzend: er soll nämlich abgeschoben werden, man weiß aber nicht wohin, da er weder Libanese noch Palästinenser ist.
Von Herrn Kaddoura sehen Sie hier eine Serie sehr beeindruckender Fotos aus genau diesen palästinensischen Flüchtlingslagern. Schauen Sie sich daher bitte ganz genau die Fotos an: Sie werden Straßenszenen voller Freude, voller Lebendigkeit und voller Ehrlichkeit sehen. Ältere Frauen beim Brotbacken oder beim gemeinsamen entspannten Treffen, ein Kind, das das Tragen einer Gasflasche (Hier stecken ganz viele Botschaften dahinter) humorvoll als Kraftakt zeigt, Kinder beim Spielen am Straßenrand kauernd oder ein so strahlender wundervoller Blick eines lächelnden Mädchens am Meeresufer. Herr Kaddoura erklärte mir, warum er vor allem Kinder und ältere Menschen fotografiert: er selber hat keine Fotos aus seiner Kindheit, keine Fotos von seinen palästinensischen Großeltern. Er dokumentiert die Existenzen eines Lagers, so wie es ihm nicht vergönnt war. Er zeigt der Welt die Güte in den Augen, das Lachen, das Spielen, den Humor, alles was in einem Lager noch sein kann trotz bitterer Armut, Prostitution, Ungerechtigkeit und Gefahr.
Herr Raisan Hameed ist unser zweiter Fotograf, den ich hier präsentiere. Er ist, genau wie Herr Ahmad Kaddoura, im weltweit historischen Jahr 2015 aus dem Irak, aus Mosul, hierher geflohen. Mich haben seine Bilder in unserer Gemeinschaftsausstellung im sächsischen Landtag “Wir-We-Nahnu” sehr beeindruckt. Es waren Schwarz-Weiß-Momente voller Kontraste. Ein sehr bewusstes Arbeiten mit Licht und Schatten, ein Sonnenstrahl durch den Staub einer dunklen Gasse des Basars von Mosul, die faszinierenden Hände eines Straßenmalers, eine Schattensilhouette vor einem Kirchenfenster.
Ich habe die letzten zwei Jahre mit Hunderten von Geflüchteten gearbeitet, gedolmetscht und unterrichtet. Was mich persönlich an den Fotografen Raisan Hameed und Ahmad Kaddoura sehr beeindruckt, ist die Tatsache, dass sie nach ihrer Flucht ihren roten Faden beibehalten haben:
Raisan Hameed studiert Fotografie an der HGB in Leipzig unter der Leitung von Prof. Rayan Abdullah, er fotografiert fleißig weiter hier wie in seinem Heimatland, er reist und fängt die Spiele des Lichts und des Schattens auch hier weiter ein, vielleicht um uns noch mehr bewusst zu machen, dass wir in einer Welt leben, unter einer Sonne. Daher werden Sie heute von ihm auch Farbbilder, Landschaftsbilder, Blumenbilder aus vielen Gegenden dieses Landes sehen. Dies ist meine (nicht mehr versteckte) Botschaft dahinter.
Die dritte Fotografin, die ich präsentiere ist Frau Gabriele Seitz. Sie ist seit Jahrzehnten eine feste Größe in der Dresdner Künstler- und Fotografenszene: sie beweist seit über 20 Jahren, mit ihren Bildern von Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben, von Menschen mit körperlichen sowie seelischen Behinderungen, mit Bildern von starken unabhängigen Frauen aller Kulturkreise, dass schon seit Jahrzehnten in Dresden die Welt mit ihren Gesamtnuancen zu Hause ist, dass Gleichstellung und Integration alltäglich in Dresden stattfindet.
Ihre Bilder stehen für mich im Kontrast zu der Realität, die uns von nicht weltoffenen, rassistischen Gruppierungen für wahr verkauft wird. Dresden ist seit langem Begegnungspunkt für Menschen unterschiedlichster Couleur und Herkunft.
Nehmen Sie sich bitte bei jedem einzelnen Bild dieser drei Fotografen genügend Zeit zum Betrachten. Sie werden viele unglaubliche Details entdecken: einzelne Körner einer Ähre, ein Fahrrad, versunken unter vielen Wasserschichten, zwei Blumen, die zueinander sprechen als wären sie porträtierte Menschen, eine Friedenstaube, die Burka trägt, ein Dresdner Dampfer, auf dem Möwen aus Mosul landen, ein vietnamesisches Mädchen, das Kuckuck zwischen zwei Säulen des Ministeriums macht…
Und last but not least, werde ich jetzt kurz über meine eigenen Bilder hier am Eingang des Ministeriums sprechen. Diese Serie von Aquarellbildern auf Holz spricht eine ein wenig ungewohnte Sprache.
Die Bilder tragen starke politische und gesellschaftliche Botschaften über die Ereignisse der letzten Jahre in Dresden, in Deutschland, sowie in der ganzen Welt in sich. Ich glaube genau aus diesem Grund hat sich das Ministerium für Gleichstellung und Integration diese Bilder aus meinem Werkfundus für die Ausstellung gewünscht.
Es hat erstmals beim Aufbauen der Ausstellung in den letzten Tagen mein Ego ein wenig verletzt, viele kritische Stimmen in den Fluren des Ministeriums zu hören: Warum diese Zitronenpresse mitten im Bild? Was hat dieses Metallschloss zu bedeuten? Was machen überhaupt zwei Orcas mitten im Strom des Dresdner Elbwassers?
Dafür gibt es ein wunderschönes Zitat von Andy Goldsworthy. Sie kennen ihn wahrscheinlich - der berühmteste Land Art Künstler der Welt. Man kennt seine Steinbögen mitten in der Natur oder seine Bilder aus Blättern in Farbnuancen auf dem Waldboden.
Er sagt:
“Das ist die Schönheit der Kunst, einen Schritt wegzugehen von der normalen Art zu gehen oder zu sehen”.
Diese Kunstwerke sind zum Denken und zum Reden gedacht, zum Anstoßen von neuen visuellen und intellektuellen Welten. Ehrlich gesagt: Kunst soll m. M. n. nicht immer bequem sein. Eigentlich ist es fantastisch, dass damit Fragen aufgeworfen werden.
Gleichstellung und Integration bedeuten m. M. n. vor allem Neugier, Offenheit, Akzeptanz des Unbekannten oder besser gesagt, für das zunächst Nichtverständliche zu haben… Behalten Sie bitte Ihre Offenheit und Ihre Neugier in dieser einen Welt.
Und jetzt bitte ich die drei Fotografen nach vorne und möchte Sie, liebes Publikum, hiermit herzlich einladen, mit den Fotografen und mit mir ins Gespräch zu kommen. Für jedes Bild dieser Ausstellung gibt es eine interessante Geschichte.
Nazanin Zandi