Die Magie des Alters
Baum und Mensch sind der Gegenstand einer Ausstellung im KunstKabinettKempin, in der Porträtfotografien älterer Menschen und Bäume von Gabriele Seitz (Radebeul) sowie Holzskulpturen und Objekte von Ines Margret Lenke (Hoyerswerda) gezeigt werden. Die diesmal besonders schöne und stimmige Zusammenstellung der Arbeiten konzentriert die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Oberflächen. Dabei kann man Haut und Borke als zwei verwandte Stoffe verstehen, die durchaus schön sind und sich bei Gabriele Seitz zu einer eigenen Ästhetik entwickeln. Naturbelassen und sacht verändert dagegen sind die Skulpturen und Objekte von Ines Margret Lenke, die als maritime Fundstücke gewonnen, danach bearbeitet und bemalt, sowie mit anderem Material kombiniert wurden.
Baum und Mensch sind seit es die Menschheit gibt schöpferisch miteinander verbunden. Damals wie heute war Holz nicht nur als Baumaterial wichtig. In Mythen und Märchen hat sich der Mensch ein geistig-spirituelles Bild vom Baum gemacht, seine Nähe in allem Wachsen und Vergehen im Kreislauf der Natur fantasiereich umgedichtet und seine elementare Bedeutung für die mythische Erklärung der Welt genutzt. Nazim Hikmet schrieb: „Leben wie ein Baum/ einzeln und frei/ und brüderlich/ wie ein Wald/ das ist unsere Sehnsucht“. Der Mensch braucht nicht nur Holz zum Leben und Überleben, sondern auch den Schatten und das Grün und die reine Luft der Bäume, wo er ausruht und seine Kräfte erneuert. Magische Anziehung üben besonders alte Bäume aus, ihre dicken und festen Rinden, die von Frost, Hitze und Feuchtigkeit zermürbt, aufgebrochen und zerklüftet die Zeit in sich tragen und vom Altern in Würde berichten. Ehrwürdig ist auch der alte Mensch, auf dessen Haut und in dessen Zügen sich die Jahre eingegraben haben.
Gabriele Seitz fand ihre Baummotive vor allem im Moritzburger Wald, in der Nähe von Hans Georg Anniés (1930-2006) Atelierhaus. Dort hat sie den Holzschneider und Bildhauer auch vor seinem Lieblingsbaum fotografiert, wie er meditierend, den Kopf demütig gesenkt, am Stamm lehnt. Korkeichen und Olivenbäume aus dem Süden (auf Reisen nach Sizilien und Florenz gefunden) verzaubern durch ihre gewaltige Kraft und Energie. In der Ausstellung hat die Künstlerin ihre Baumaufnahmen geschickt zwischen den Porträts alter Menschen platziert. Im Altenheim „pro seniore“ ergab sich die Möglichkeit, Bewohner für ein künstlerisches Porträtfoto zu gewinnen. Gabriele Seitz konnte sich einige von ihnen aussuchen und fotografieren. Durch den auf schwarzem Grund entstehenden Hell-Dunkel-Kontrast werden die weißen Häupter alter Frauen, ihre faltige, durchfurchte Haut besonders hervorgehoben. Alle Bilder geben einen Einblick in eine vom Leben geprägte Persönlichkeit, ihren Charakter und ihre Mentalität, wie das von Gretel Schädlich (Näherin) und Marianne Volkmar (Textilverkäuferin) oder die Porträts von Tine Schulze Gerlach (Dichterin), Werner Wittig (Maler) und Helga Alschner (Bühnen- und Kostümbildnerin), Höhepunkt bilden ein Porträt von Pierre Brice (Winnetou-Darsteller), aufgenommen zu den 20. Karl-May-Festspielen in diesem Jahr, über die Gabriele Seitz besonders glücklich ist, sowie eine Serie von sieben mit dem Licht spielenden Fotografien der vitalen Tanzpädagogin Charlotte Loßnitzer.
Im Dialog dazu stehen die Holzskulpturen und Objekte von Ines Margret Lenke, fein bearbeitete Fundstücke von der Ostsee und dem Lausitzer „Neu-Seenland“, darunter einige Fossilien, zum Teil verkieselt oder verkohlt, deren besondere Farbigkeit durch Wegnahme von Material sichtbar wird. Die studierte Kunstlehrerin (PH Dresden) unterrichtet 11. Und 12. Klassen im Foucault-Gymnasium in Hoyerswerda in den Fächern Malerei/Grafik, Bildhauerei, Fotografie und Darstellendes Spiel. Neben ihrer Hauptbeschäftigung, der Malerei und Grafik, faszinieren sie durch die Natur vorgebildete Formen in Holz und Stein, die sie mit anderen Materialien kombiniert und auch bemalt. Stuppen und Alraunen finden sich darunter, Wurzeln und Strandgut, oft flügelförmig, die bereits fantasiereiche Formen in sich tragen. In den besten Arbeiten kommt das Archaische zum Tragen. Assoziationen vom Jagdzauber, aber auch von der Kunst der Naturvölker werden wach, wie in der Gruppe zusammengesetzter Skulpturen mit „Schütze“, „Durchflieger“, „Überflieger“ und „Wasserläufer“ – filigrane Kompositionen, fetischartig und die Vertikale betonend, mit dünnen Zweigen bekrönt, die in den Raum greifen. Kleine Tuschzeichnungen dekorieren die Basis der Figuren wie ein schmales Tattoo. In Plexiglasröhren schlummern wie eingeschlossene Präparate, Stücke von vom Wasser abgeschliffenen Holzstücken und Zweigen. Wesentlich für Ines Margret Lenke ist eine feine Ponderation zwischen Vertikale und Horizontale, die im Raum ein Gleichgewicht der Kräfte schafft, das dem Gesetz des natürlichen Verfalls entgegenwirkt und im gegenseitigen Einklang aus dem Naturstück ein Kunststück macht.
Heinz Weißflog
Ansprache anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Leben wie ein Baum“ im KunstKabinettKempin, Radebeul, am 20.08.2011.